Besuchen von kulturellen Veranstaltungen

Christian Wille

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So wie die vorangestellten Alltagspraktiken zum Teil mit anderen grenzüberschreitenden Praktiken in Zusammenhang stehen, trifft dies auch auf das Besuchen von kulturellen Veranstaltungen im angrenzenden Ausland zu. Der Begriff ‚kulturelle Veranstaltung’ ist hierbei weitgreifend angelegt und stellt sowohl auf hochkulturelle als auch auf populärkulturelle Angebote und ihre Nutzungen ab.

Er erlaubt Zugänge zu den grenzüberschreitenden Lebenswirklichkeiten der Einwohner der Großregion SaarLorLux, wenn etwa bei Cavet/Fehlen/Gengler (2006: 38) v.a. Saarländer und die Einwohner Luxemburgs angeben aufgrund von „Kultur“ und/oder „Gastronomie“ eine Staatsgrenze zu queren; oder wenn bei Wille/Reckinger/Kmec/Hesse (2014) die in Luxemburg wohnenden Befragten berichten das Theater- und Kinoangebot im angrenzenden Ausland zu nutzen, ebenso wie das dortige Ausstellungs-, Museums- und Konzertangebot.

Karte: Grenzüberschreitende Alltagspraktiken

Karte: Grenzüberschreitende Alltagspraktiken

Christian Wille, Université du Luxembourg

Umgekehrt berichten die Einwohner der angrenzenden Regionen gerne das Programm der luxemburgischen Rockhal (Esch-Belval) oder der Philharmonie (Luxemburg-Stadt) zu besuchen und in luxemburgischen Kinos Filme im Originalton oder bereits vor der Ausstrahlung im Wohnland zu sehen. Scholz (2011: 183) arbeitet heraus, dass weniger als die Hälfte der von ihr Befragten Veranstaltungen im benachbarten Ausland besuchen, darunter aber v.a. Jugendliche, die in Grenznähe wohnen.

Das Besuchen von kulturellen Veranstaltungen in angrenzenden Regionen kann demnach mit dem jeweiligen Angebot bzw. den kulturellen Infrastrukturen, sprachenbezogenen Aspekten sowie mit der Nähe des Wohnorts zu einer Staatsgrenze erklärt werden und hat verschiedene freizeitorientierte Mobilitätsströme in der Großregion SaarLorLux zum Ergebnis (vgl. Tab. 4).

Tabelle 4: Räumliche Verteilung der Praktik ‚Besuch von kulturellen Veranstaltungen’ nach Wohnregionen der Befragten in % (Mehrfachnennungen) (Wille/Reckinger/Kmec/Hesse 2014)

Die Bewohner der Großregion SaarLorLux suchen am häufigsten Luxemburg auf, um kulturelle Veranstaltungen im benachbarten Ausland zu besuchen. Dabei handelt es sich in erster Linie um die Einwohner von Lothringen und Rheinland-Pfalz; die Befragten in Wallonien und im Saarland folgen mit leichtem Abstand. Die vergleichsweise starke Anziehungskraft des Großherzogtums ist auf das mehrsprachige kulturelle Angebot zurückzuführen, über das  unterschiedliche Personengruppen erreicht werden können.

Die meisten der insgesamt 54 Theater in der Großregion SaarLorLux werden in Luxemburg (18 Theater) unterhalten, die mit 186 Besuchen je Tausend Einwohnern am stärksten frequentiert sind. Mit Blick auf die Anzahl an Museen und Kinos bildet das Großherzogtum im Vergleich der Teilgebiete zwar das Schlusslicht, sie werden aber weit überdurchschnittlich oft besucht (vgl. StaGR 2011: 22f.). Dies verweist auf Kulturinfrastrukturen und Angebote von überregionaler Ausstrahlung, die sich in Luxemburg-Stadt weitgehend konzentrieren (vgl. Sonntag 2015).

Damit nimmt das Großherzogtum gegenüber den übrigen Teilgebieten eine Sonderstellung ein, die mit dem kulturpolitischen Anspruch im Zusammenhang steht in der nationalen Hauptstadt ein Angebot von internationalem Rang anzubieten (z. B. Philharmonie, Musée d’Art Moderne du Grand-Duc Jean (MUDAM) etc.).

Ins angrenzende Frankreich als weitere Destination kommen v.a. die Einwohner Luxemburgs für kulturelle Veranstaltungen; mit 11% noch die Einwohner Walloniens. Aus den beiden deutschen Bundesländern fahren vergleichsweise wenige Befragte nach Frankreich. Damit scheint das kulturelle Angebot in Lothringen v.a. ein französischsprachiges Publikum anzuziehen, das das Programm der 17 Theater und 60 Kinos – die im großregionalen Vergleich am häufigsten besucht werden – nutzt.

Mit 38 Museen, die relativ wenig besucht werden, wartet Lothringen mit nur sehr wenigen Kulturstätten dieser Art auf (vgl. ebd.). Hervorzuheben ist aber das 2010 eröffnete Centre Pompidou-Metz für zeitgenössische Kunst, das als Außenstelle des Centre Georges Pompidou (Paris) als Publikumsmagnet gilt.

Im angrenzenden Deutschland besucht ein gutes Fünftel der Einwohner Luxemburgs kulturelle Veranstaltungen. Die Befragten der französischsprachigen Regionen hingegen nutzen das kulturelle Angebot in Deutschland kaum, was mit eventuellen Sprachbarrieren und dem jeweiligen kulturellen Angebot erklärt werden kann. Diesbezüglich sind zwischen den beiden Bundesländern große Unterschiede festzustellen:

Während das flächenreiche Rheinland-Pfalz im Vergleich der Teilgebiete (nach Wallonien) die meisten und am stärksten frequentierten Museen (405) aufweist, besitzt das Saarland nur 54 Museen. Hingegen werden die Veranstaltungen des einen öffentlichen Theaters im Saarland je Tausend Einwohner besser besucht als das drei Mal so große Veranstaltungsangebot der fünf Theater in Rheinland-Pfalz.

Auch im Bereich der Kinoinfrastrukturen sind die beiden Bundesländer ungleiche Nachbarn: Während Rheinland-Pfalz die meisten Kinos (72) in der Großregion SaarLorLux unterhält, bildet das Saarland mit 27 Kinos das Schlusslicht, auch wenn die Besuchsintensität jeweils ähnlich ausgeprägt ist (vgl. StaGR 2011: 22f.).

Das angrenzende Belgien rangiert auf dem letzten Platz der Destinationen für Besuche von kulturellen Veranstaltungen. Für die Einwohner Lothringens ist das kulturelle Angebot im benachbarten Belgien – wenn auch auf niedrigem Niveau – tendenziell attraktiver als das in Deutschland; für die Befragten der beiden deutschen Bundesländer ist das Angebot noch nachrangiger als das in Frankreich.

Das Centre Pompidou in Metz zieht Besucher aus der ganzen Großregion und darüber hinaus an.
Foto: cc Guido Radig 2011

Damit wird das kulturelle Angebot von deutschsprachigen Personen kaum genutzt, auch wenn Wallonien die meisten Museen (466), die meisten Kinositzplätze in der Großregion SaarLorLux und noch 13 Theater unterhält (vgl. ebd.). 

In der Gesamtschau der Mobilitätsströme wird deutlich, dass Luxemburg eine wichtige Rolle spielt für das Besuchen von kulturellen Veranstaltungen in einer angrenzenden Region. Dies aufgrund des attraktiven kulturellen Angebots, aber ebenso aufgrund der unterschiedlichen Sprachen, in denen Ausstellungen, Filme, Theaterstücke etc. angeboten werden.

So können gleichermaßen die Einwohner aus den deutsch- und französischsprachigen Nachbarregionen erreicht werden und eventuelle Sprachbarrieren, auf die die identifizierten Besucherströme zwischen eher deutsch- bzw. eher französischsprachigen Teilgebieten hindeuten, umgangen werden. Dem mehrsprachigen Luxemburg kommt damit eine vermittelnde Rolle zu, die sich auch in umgekehrter Richtung äußert, nämlich in der im großregionalen Vergleich größten grenzüberschreitenden Orientierung beim Besuchen von kulturellen Veranstaltungen.

Staatstheater Saarbrücken
Foto: cc LoKiLeCh

Die Luxemburger Wohnbevölkerung besucht zu jeweils einem Fünftel regelmäßig kulturelle Veranstaltungen im angrenzenden Deutschland und Frankreich (vgl. Wille/Reckinger/Kmec/Hesse 2014). Deutlich weniger, aber dennoch genutzt wird darüber hinaus das kulturelle Angebot im angrenzenden Belgien.

Dabei spielt wiederum der Wohnort eine Rolle, wenn die Befragten durchgängig den Besuch von kulturellen Veranstaltungen signifikant häufig in einer unmittelbar angrenzenden Region angeben. Dieser Befund erschließt sich, wenn die für den Besuch von kulturellen Veranstaltungen als bedeutsamer – als für andere grenzüberschreitende Praktiken – angenommenen Sprachkompetenzen einbezogen werden.

So hat der Zensus 2011 gezeigt, dass das Französische als Hauptsprache in Luxemburg entlang der Grenze zu Belgien und in Luxemburg-Stadt am stärksten verbreitet ist; der Anteil an Personen mit Deutsch als Hauptsprache ist v.a. entlang der Grenze zu Deutschland stark ausgeprägt (vgl. STATEC 2013: 3).

Auch hinsichtlich der Nationalitäten der Befragten bestätigt sich ein bereits oben festgestellter Unterschied, nämlich zwischen Luxemburgern, die das kulturelle Angebot in Deutschland signifikant oft nutzen, und ansässigen Ausländern, die signifikant häufig kulturelle Veranstaltungen in den frankophonen Nachbarregionen besuchen (vgl. Wille/Reckinger/Kmec/Hesse 2014).

Insgesamt ist festzuhalten, dass der Besuch von kulturellen Veranstaltungen in einer Nachbarregion im Vergleich zu anderen grenzüberschreitenden Alltagspraktiken in der Großregion SaarLorLux (noch) schwach ausgeprägt ist. Dafür spielen neben den angebotenen Veranstaltungen und Kulturinfrastrukturen vermutlich Sprachkenntnisse eine Rolle, aber ebenso das generelle kulturelle Interesse, was den Blick auf das (potentielle) Publikum lenkt.

Scholz (2011: 183) hält in diesem Zusammenhang fest, dass der Alltag der von ihr befragten Erwachsenen „vom Berufsleben und persönlichen Verpflichtungen geprägt ist“ und sie ihre Freizeit „eher zur Erholung oder für Aktivitäten im näheren Umfeld als für Ausflüge zu [kulturellen] Veranstaltungen jenseits der Grenze“ nutzen.

Ergänzend dazu wird bei Sonntag (2015) und Crenn (2015) thematisiert, dass die Einwohner der Großregion SaarLorLux weitgehend lokal orientiert und nur schwer zu mobilisieren seien für den Besuch von kulturellen Veranstaltungen im angrenzenden Ausland.

Die Luxemburger Philharmonie auf dem Kirchberg
Foto: cc F. Canzola