Argonnen

Glas- und Kristallerzeugung in den Argonnen

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Bereits in der gallo-römischen Zeit, vom 1. bis zum 4. Jahrhundert, wurde in den Wäldern der Argonnen Glas hergestellt, und zwar in Verbindung mit der Fertigung von Keramik. Überreste einer Glashütte aus dieser Zeit finden sich in der Nähe von Lachalade.

Die Glashütten von Houys (Sainte-Ménéhould), Berthaucourt (Froidos), La Clairière (Lavoye) und vermutlich noch weitere fertigten Glascheiben, farbige Mosaikgläser, Schmuck, Becher und Parfumvasen in einer den späteren Glashütten durchaus vergleichbaren Qualität. Mit der Völkerwanderung verschwand die Glaserzeugung.

Einige Jahrhunderte später kam es mit der Einrichtung der Klöster wieder zur Glasherstellung, möglicherweise bereits in Montfaucon und in Beaulieu ab etwa 800-900, sicher aber mit der Ankunft der Zisterziensermönche im 12. Jahrhundert.

Jede Abtei hatte mindestens einen Glasofen im benachbarten Wald, um einerseits den eigenen Bedarf zu decken und andererseits den Wald möglichst rentabel zu nutzen. Eine bedeutende Rolle spielten dabei die Mönche von Lachalade. Zwei dieser frühen Glashütten sind die ältesten mittelalterlichen Hütten in ganz Nordeuropa: Pairu im Wald von Lachalade und Les Bercettes im Wald von Neuvilly.


Karte: Glas- und Kristallerzeugung

Glas- und Kristallerzeugung

Eva Mendgen, Saarbrücken

Der Four de Paris im Tal der Biesme, 1914
Quelle: Hist. Postkarte, E. de Bigault

Die gezielte Ansiedlung von Glasmachern in den Argonnen, die alle notwendigen Rohstoffe für die Glasherstellung boten, geht vermutlich auf König Philipp IV, den Schönen, zu Beginn des 14. Jahrhunderts zurück. Sicher ist, dass bereits 1448 die "Charte des Verriers" des Herzogs von Lothringen die Glasmacher in ihren umfassenden Privilegien wie u.a. der Holznutzung, Jagd, Waldweide und Fischerei bestätigte.

Die Glashütten arbeiteten nur in der Winterzeit. War das Brennholz um die Hütte erschöpft, verlegte man ihren Platz ein Stück weiter entlang der Biesme. An einem ihrer kleinen Zuflüsse konnten vier oder fünf Glashütten im Abstand von etwa einem Kilometer betrieben werden, wie z.B. nahe dem Four de Paris.

Im Laufe des Hundertjährigen Krieges (1337-1453) und der Pestzüge, die die Bevölkerung ganz erheblich dezimierten, kam die Produktion völlig zum Erliegen. Erst 1495, mit der Gründung der Glashütte von Binois, lief die Glaserzeugung wieder an.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts genehmigte der Herzog von Lothringen zahlreiche neue Glashütten entlang der Biesme. Spätestens seit dem 15. Jahrhunderts ist das Glasmachen ein Privileg sogenannter Glasadliger. Die "Gentilshommes verriers" heirateten nur untereinander, und ihre Bindungen waren meist auch geschäftlicher Natur. Allerdings wurden nur wenige Glasmacher wirklich vermögend.

Zu den eingesessenen Glasmacherfamilien gesellten sich neue, die teils von weither kamen: aus den Vogesen, dem Burgund, den Niederlanden, der Picardie und der Normandie, von der Loire und sogar aus Italien. Dadurch kam es zu raschem technischen Fortschritt, insbesondere zur Entwicklung feinen Glases à la façon de Venise.

Nachdem die Herstellung von Flachglas aus Glaszylindern zum Monopol der Vôge geworden war, wurden hauptsächlich Vasen, Becher und Gläser hergestellt, zumal die Aufbewahrung von Wein in Flaschen noch nicht möglich war.

Als die Gemeinden, auf deren Land die Glashütten standen, die Steuerbefreiung der Glasmacher nicht mehr akzeptieren wollten, bestätigte Henri IV, der mit dem Edikt von Nantes 1598 den protestantischen Hugenotten im katholischen Frankreich Religionsfreiheit und volle Bürgerrechte gewährt hatte, 1603 in Les Islettes den Glasmachern ihre Privilegien.

Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) und die anschließende Zeit der Fronde (1648-1653) brachten wieder eine Phase des Niedergangs der Glaserzeugung. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zog wieder Frieden ein.

Die frühen Glashütten wurden mit Holzkohle befeuert. Sie hatten einen so hohen Brennstoffbedarf, dass sie weite Gebiete entwaldeten.
Quelle: Hist. Postkarte, E. de Bigault
Le Neufour, 1914
Quelle: Hist. Postkarte, E. de Bigault

1685 zwang Louis XIV mit dem Widerruf des Edikts von Nantes die Glasmacher, entweder zum Katholizismus zu konvertieren oder zu flüchten. Einige von ihnen gründeten daraufhin die Glashütte in Creutzwald im Warndt.

Bald darauf siedelte Louis XIV im Süden von Verdun einen Glasmacher aus den Niederlanden an, um Glas à la façon de Venise zu produzieren. Ihm erteilte er im Rahmen eines königlichen Privilegs ein Monopol für die Glaserzeugung im Umkreis von 10 Meilen (40 Kilometer) und verdrängte die etablierten Glasmacher.

Champagnerflaschen als neuer Markt
Einige siedelten sich wenige Kilometer weiter westlich am Waldrand nahe Sainte-Ménehould im heutigen Département Marne an - nur wenige Kilometer jenseits der Großregion und deshalb hier mitbehandelt. Mit dem Beginn der Champagnerherstellung u.a. durch den dorther stammenden Dom Pérignon entstand eine erhebliche Nachfrage nach soliden Flaschen, die dem Gasdruck standhielten.

Die Herstellung druckfester Flaschen aus schwarzem Glas eröffnete den Glashütten der Argonnen neue Absatzmöglichkeiten. Andere spezialisierten sich auf die Herstellung kleinerer Schnapsflaschen.

Nach einer prosperierenden Phase während der militärischen Erfolge des Sonnenkönigs kam es mit den Niederlagen gegen Ende seiner Herrschaft zu Absatzschwierigkeiten. Mit dem Frieden verbesserte sich die Lage wieder, aber während des gesamten 18. Jahrhunderts litt die Glasindustrie unter der starken Abhängigkeit der Flaschenproduktion von der unzuverlässigen Weinernte.

Die 1762 gegründete Glashütte La Vignette setzte jetzt wieder auf die alten Produkte, Glasscheiben und Becher, und war damit so erfolgreich, dass sie bald bis nach Amerika und Skandinavien exportierte.

Mechanisierung
Anfang der 1760er Jahre zog die Mechanisierung in die Herstellung von Flachglas ein, das in der Vôge bereits in Zylindern hergestellt wurde. Es wurden nun Scheiben von mehr als einem Meter Größe hergestellt, die Glashütte im Bois d’Epense beschäftigte bis zu 300 Arbeiter. Ab etwa 1820 stiegen die Glasmacher auf Kohlenfeuerung um und verlegten ihre Standorte aus den Wäldern in die Nähe der Absatzgebiete, etwa um Reims in der Champagne.

Die Revolution beschleunigte den Niedergang der kleinen Glashütten wie Bellefontaine und La Contrôlerie. Die Hütten Le Neufour und Lochères, deren Eigentümer emigriert waren, wurden als Nationaleigentum verkauft. Alle neuen Glasmacher gingen in den 1830er Jahren in Konkurs. 

Nachdem Courupt niedergebrannt und eine Gründung in Sainte-Ménéhould fehlgeschlagen war, blieben um 1850 nur noch die Gruppe Harazée (Le Four de Paris, Le Neufour) von Eugène de Granrut und seinen Brüdern, die sich auf die Produktion von Flaschen und Gartenglocken beschränkten, und die Glashütte Les Sénades im Eigentum von Eugénie de Parfonrut und ihren Schwestern. Gegen 1860 musste der Four de Paris schließen.

Glashütte Les Sénades
Quelle: Hist. Postkarten, E. de Bigault
Die 1870 gegründete Glashütte Les Islettes
Quelle: Hist. Postkarte, E. de Bigault

Neugründung in Les Islettes
Während die meisten der Glashütten der Argonnen im 19. Jahrhundert verschwanden, gründete Eugène de Granrut neben einer Glashütte in Loivre bei Reims mit dem Bau der Eisenbahn 1870 auch eine neue große Glashütte in Les Islettes, die im Jahr 1873 mit der Produktion begann.

Nach dem Tod von Eugène de Granrut verblieb Les Islettes als letzte Glashütte der Argonnen. Sie war von Louis Du Grandrut übernommen worden, der die von den Parfonruts geerbte Hütte Les Sénades gegen 1910 stillgelegt hatte.

Bis 1914 entstand das Glas in Les Islettes noch komplett in Handarbeit. Nach einer Unterbrechung während des 1. Weltkrieges nahm die Glashütte 1919 die Fertigung wieder auf, zunächst immer noch mit den gleichen Methoden wie vor dem Krieg, während die Hütten im Westen und Süden Frankreichs mangels Personal inzwischen das Druckluftblasen eingeführt hatten.

Schließlich wurde die Flaschenproduktion automatisiert und als neue Produkte kamen elektrische Isolatoren und Konservengläser "Idéale" ins Progamm.

Die Glaserzeugung in den Argonnen ging letztendlich am Bedeutungsverlust ihrer ursprünglichen Standortvorteile zugrunde: Die isolierte Lage, die das Brennholz anfangs so preiswert machte, entwickelte sich später zum Wettbewerbsnachteil gegenüber den kohlengefeuerten Glashütten, die sich in Verbrauchernähe etablierten und über einfache Transportwege verfügten.

Die Weltwirtschaftskrise ließ nur die am günstigsten gelegenen Glashütten überleben. Mit der Schließung von Les Islettes im Jahre 1936 endete die lange Geschichte der Glaserzeugung in den Argonnen.

Von den meisten der einst etwa 80 Glashütten in den Argonnen ist heute nicht mehr viel übrig. In den Dörfern sind einige Wohnsitze der Eigentümer erhalten geblieben, in Harazée, in Courupt, in La Contrôlerie und in Le Neufour.

Auch einige Glasmachersiedlungen mit kleinen Häusern mit einer Tür und einem Fenster blieben erhalten. Das älteste Haus in Le Neufour geht auf das Jahr 1540 zurück, die meisten sind aus dem 17./18. Jahrhundert. Im Museum von Les Islettes external link wird an die Glasindustrie der Argonnen erinnert. 

Konservengläser "Ideale" aus der Produktion von Les Islettes
Foto: E. de Bigault

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Quellen


 

 

Cook, Anne und Anne-Claire Hourte 1996: Verrerie – Cristallerie / Glas und Kristall. In: Patrimoine et Culture Industrielle en Lorraine, Metz, S.150-164

Déroche, G. 1987: François Jannin et l'histoire de la verrerie argonnaise. Les Argonnais et leur Histoire. Travaux du P.A.E. du Collège de Vouziers

Famille de Bigault: Les verriers et leur histoire  

Flory, O. 1912: Die Geschichte der Glasindustrie in Lothringen, in: Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertumskunde, Jg. XXIII (1911), Metz, S.132-379

Guilhot, J.-O., S. Jacquemont und P. Thion 1990: Verrerie de l’est de la France XIIIe – XVIIIesiècles : fabrication, consommation, supplément Revue archéologique de l’Est et du centre Est, Dijon

Henrivaux, J. 1903: La verrerie au XXe siècle, Paris, S. 403 ff.

Jannin, F. 1975: Les maisons de verriers en Argonne, Horizons d'Argonne. N° 27, 1975

Jannin, F. 1977: La fabrication des bouteilles en Argonne Des origines au XXème, Horizons d'Argonne N° 34, 1977

Jannin, F. 1980: L'Industrie du verre en Argonne in Patrimoine et culture en Lorraine, Editions Serpenoise, Société d'archéologie de la Lorraine, Metz

Jannin, F. 1987: L'Argonne, une région verrière depuis l'Antiquité. In: Bulletin de l'AFAV de mars 1987

Jannin, F. 1988: Les verreries médiévales d'Argonne. XIème-XIVème in Annales du Congrès de Bâle 1988

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Mendgen, E. 2007: Glaskunst/Art Verrier, in: Mendgen, E., V. Hildisch u. H. Doucet (Hrsg.): Im Reich der Mitte / Le berceau de la civilisation européenne: Savoir-faire Savoir-vivre, Konstanz und Saarbrücken

Rose-Villequey, G. 1971: Verre et Verriers de Lorraine, au début des temps modernes, Paris

Externe Links


Déroche, G. 1987: François Jannin et l'histoire de la verrerie argonnaise external link

De Bigault, E.: Famille de Bigault - Notre généalogie - Les verriers et leur histoire external link  

Les amis du Verre d'Argonne external link

Musée du Verre en Argonne external link

Woronoff, D. o.J.: Quand l’exception devient (presque) la règle : remarques sur le vitrage en France, xvie-xviiie siècles  external link