Saarregion
Glas- und Kristallerzeugung in der Saarregion
Eva Mendgen
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Die Glasindustrie war nach Eisen und Kohle bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine der wichtigsten Industrien des Saarlandes. Vor allem lothringische Glasmacher, darunter viele Hugenotten, brachten seit dem 16. Jahrhundert ihr Savoir-faire und Kapital mit. Es gab nahezu unerschöpfliche Ressourcen, und die Landesfürsten unterstützten die Glasmacher ähnlich wie in Lothringen mit zahlreichen Privilegien, z.B. der zollfreien Ausfuhr der fertigen Glasprodukte. Die Glasmanufakturen in der Saarregion wurden im Allgemeinen von mehreren Glasmacherfamilien unterhalten. Sie produzierten entsprechend der Nachfrage Fenster-, Spiegel-, Flaschen- und Trinkglas. |
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Glasbläser der Cristallerie Wadgassen 1893http://geow.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117#sigProIddbbf0a921b Quelle: Archiv V&B |
Der 30jährige Krieg brachte einen tiefen Einschnitt, und erst im 18. Jahrhundert erfolgte dann die Neugründung zahlreicher, heute meist vergessener, kleiner und mittelgroßer Glashütten mit bis zu 500 Beschäftigten. Diese konzentrierten sich im Warndt (lothringisches Kohlebecken und Warndtwald) und dem Saarkohlenwald (Friedrichsthal, Sulzbach, St. Ingbert) und bei Saarbrücken und Völklingen (Gersweiler, Klarenthal, Luisenthal). Im Verlauf des 19. Jahrhunderts blühte die Glasindustrie trotz der starken Konkurrenz auf, in seiner zweiten Hälfte erfolgte der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur (Eisenbahnen) und die Umstellung auf die Befeuerung der Glasöfen mit Koks. Es folgten unter anderem Investitionen in die Ofentechnik (Windöfen, Boetiusöfen, 1872 Siemens'sche Gas-Regenativ-Öfen) zur Verminderung der Brennstoffkosten und zur Verkürzung des Schmelzprozesses und zur Produktivitätssteigerung. |
Ein eindeutiger Wettbewerbsvorteil war die Nähe zu den Steinkohlengruben und zu den Transportwegen ("Eisenbahnhütten"). Nach und nach erfolgte die Spezialisierung auf bestimmte Produktsegmente. Die Glashütten im Warndt führten die Tradition der älteren lothringischen Glasmacherkunst ein und waren bekannt für ihre feinen Trinkgläser. Die auf deutsche Unternehmer zurückgehenden Glashütten im Saarkohlenwald hingegen produzierten Flaschen- und Tafelglas. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts führte die Konkurrenz der Glashütten zu einem Konzentrationsprozess. Gab es um 1850 noch 20 Glashütten (Familienunternehmen), so waren es vor dem 1. Weltkrieg nur noch 12. |
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Maggi-Flasche, Luisenthal; Privatsammlunghttp://geow.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117#sigProIdcdffcd7c02 Quelle: die argelola regiofactum |
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1) Glashütte Vopelius & Wentzel, St. Ingbert, in den 1930er Jahrenhttp://geow.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117#sigProId4699fd167e Quelle: Stadtarchiv St. Ingbert 2) Beschäftigungsentwicklung in der Glasindustrie an der Saar im 19. Jh. Quelle: Banken 2003 |
Wenige große Glasfabriken beherrschten den regionalen Markt im 20. Jahrhundert. Dazu gehörten die Gebrauchsglashütte in Völklingen-Fenne und die Cristallerie in Wadgassen, die in Hostenbach eine eigene Steinkohlengrube besaß. Organisiert waren beide Glashütten nach dem Vorbild der großen lothringer Kristallerien Saint Louis und Baccarat. Fenne fusionierte schließlich 1909 mit der damals deutsch-lothringischen Glashütte von Hirsh & Hammel in Dreibrunnen (heute Vallérysthal-Troisfontaines). Die 1914 gegründete Vereinigte Vopelius & Wentzel'sche Glashütten GmbH in St. Ingbert löste als Zusammenschluss aus mehreren Tafelglashütten Friedrichsthal als Zentrum der Tafelglasproduktion an der Saar ab. Fenne und St. Ingbert gehörten nach dem 1. Weltkrieg zu den modernsten Glasfabriken ihrer Zeit. Beide lagen nun im französisch dominierten "Saargebiet". Der Konzern Saint Gobain sanierte die Fenner Glashütte in den 1920er Jahren; in Sulzbach bei St. Ingbert wurde die erste deutsche Fourcault-Versuchsanlage in Betrieb genommen. Ab 1926 kam das moderne Ziehglasverfahren, eine Erfindung der belgischen Ingenieure Emile Fourcault und Emile Gobbe (Verreries de Damprémy, Charleroi) zur Massenproduktion von Tafelglas, in St. Ingbert bei Vopelius & Wentzel zur Anwendung. |
Nach dem 2. Weltkrieg existierten nur noch die Tafelglashütte in St. Ingbert und die Cristallerie in Wadgassen. St. Ingbert wurde 1975 stillgelegt, 2001 die denkmalgeschützten Anlagen abgerissen. Die zum Weltkonzern Villeroy & Boch gehörende Cristallerie Wadgassen überlebte seit ihrer Gründung 1842 alle Widrigkeiten der Geschichte – mehrfacher Wechsel der Nationalität und der Absatzmärkte innerhalb kurzer Zeitspannen, Mechanisierung des Glasmacherhandwerks - bis in die 1980er Jahre. An der Saar gilt die Glasindustrie heute als Wegbereiterin der Schwerindustrie, von der sie im 20. Jahrhundert schließlich überlagert wurde: Nach einer Phase der Expansion, Spezialisierung und Konzentration konkurrierten die Glashütten - zunehmend erfolglos - mit der Schwerindustrie um den Energielieferanten Kohle und die knapper gewordenen Arbeitskräfte. |
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Kristallgläser, Cristallerie Wadgassen, 1950er Jahrehttp://geow.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117#sigProId21a9954613 Quelle: Landesarchiv des Saarlandes |
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Cristallerie Wadgassen, 1925http://geow.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117#sigProId0b00552d5c Quelle: Archiv V&B |
Anders als in Lothringen ist die bedeutende Geschichte der Glasindustrie an der Saar kaum präsent, ihre wichtigsten Monumente wurden zwar unter Denkmalschutz gestellt, aber dennoch abgerissen (Fenne, St. Ingbert). Einzig die alte Glashütte in Wadgassen, das "letzte bauliche und technische Dokument der Glasverarbeitung im Saarland" steht noch (Studie der IndustrieKulturSaar, Saarbrücken 2000). Die Glasindustrie an der Saar wäre heute ebenso vergessen, wie die kleine, feine, wenig bekannte Glassammlung im Depot der Alten Sammlung im Saarland-Museum in Saarbrücken , wenn sich in den 1990er Jahren nicht verschiedene Initiativen gebildet hätten, die die Bedeutung der Geschichte des Glases für die Region erkannt haben. |
Eines der Resultate dieser, meist privaten, Aktivitäten ist das im Wesentlichen ehrenamtlich betriebene Glasmuseum im Heimatmuseum im Warndt in Völklingen-Ludweiler, wo Teile bedeutender Gebrauchsglassammlungen der Region 2007 vorerst einen Ort gefunden haben. Ein anderes Resultat ist die Kooperation der Saarbrücker Hochschule der bildenden Künste Saar mit dem CIAV und dem Musée du Verre et du Cristal in Meisenthal seit 1992, begleitet von einer temporär sehr regen Ausstellungs-, Entwicklungs- und Forschungsarbeit (Studie "Zur Geschichte des Glases und des Kristalls im Saarland und Lothringen", CD-Publikation in deutscher und französischer Sprache, Saarbrücken 2000). Glas wird heute im Saarland in Schmelz als Bauglas industriell produziert, in Wadgassen wurde vor einigen Jahren ein Schauofen eingerichtet ("Show-Glashütte" in Kombination mit einem Glas-Outlet). |
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Stillgelegte Glashütte Vopelius & Wentzel, St. Ingbert, in den 1990er Jahren, kurz vor dem Abriss 1997http://geow.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117#sigProId8532facb93 Quelle: Stadtarchiv St. Ingbert |
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http://geow.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117#sigProIdcc69f9651b |
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http://geow.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117#sigProIdacae5d7140 |
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Trinkglas, Warndt, frühes 19. Jahrhundert (?), Privatsammlung Quelle: die argelola regiofactum |
Fenster im Rathaus St. Johann, Saarbrücken Quelle: die argelola regiofactum |
Cristallerie Wadgassen, 1957 Quelle: Stadtarchiv Saarbrücken |
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