Hennegau
Glas- und Kristallerzeugung im Hennegau
Eva Mendgen
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Die belgische Provinz Hennegau ist eine der ältesten und bedeutendsten Glas erzeugenden Regionen Europas. Als Grenzregion zwischen den Niederlanden, Frankreich, Luxemburg und Deutschland gelegen, bediente ihre Industrie diese großen Märkte. Sie profitierte aber auch von der für den Export in fernere Länder günstigen Lage, vom Wissenstransfer aus den nächstgelegenen Ländern, vor allem Holland, England oder Lothringen, sowie durch die verkehrstechnische Erschließung im 19. Jahrhundert durch ein damals hochmodernes Kanalsystem und die Eisenbahn. Technische Neuerungen und ihre Perfektionierung, sowie die große Nachfrage führten im 19. Jahrhundert zu einem rasanten Aufschwung aller Sparten der Glasindustrie. Entscheidend für den Erfolg der Glashütten nach der belgischen Revolution 1830 war die Einrichtung der belgischen Staatsbank zur Industrieförderung und natürlich die Nähe zu den reichen Kohlegruben des Pays Noir. |
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Produktionsschwerpunkte Ein paar Kilometer weiter westlich, am 1792 eröffneten und Ende des 19. Jahrhunderts ausgebauten Canal du Centre, spezialisierten sich Dutzende Glashütten um La Louvière auf die Produktion von Hohlglas. Heute widmet sich das Musée du Verre in Marcinelle bei Charleroi der Erforschung der Geschichte der Glasindustrie im Hennegau. In Marcinelle wurde 1669 auch der erste mit Steinkohle befeuerte Glasofen eingerichtet. |
Alleine in Charleroi und den Gemeinden Jumet, Damprémy und Lodelinsart im Norden der Stadt gab es um 1834 sechzehn Tafelglashütten. Die Tafelglasindustrie expandierte schnell, exportiert wurde im Wesentlichen nach Holland (Gewächshäuser) und in die holländischen Kolonien. Im 20. Jahrhundert war der Hennegau größter Flachglaserzeuger weltweit, zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist er immerhin noch zweitgrößter Flachglaserzeuger Europas. Neue Technologien führten zur Schließung veralteter Glashütten und zur Reduktion von Arbeitsplätzen. Dies gilt auch für das in Charleroi entwickelte und verbesserte "Fourcault-System" und, in einer zweiten Etappe der Mechanisierung, das seit den 1960er Jahren angewandte englische Floatglas-Verfahren. Beide führten zu dramatischen Veränderungen der Unternehmensorganisation und der Arbeitswelt, und damit zu unaufhaltsamen Konzentrationsprozessen. Bestes Beispiel hierfür ist die Glaverbel A.G.C in Roux, für die Weiterentwicklung der Technologie und neue Produkte Sovitec in Jumet und Fleurus. Dazu gehört aber auch die Glashütte im weiter entfernten, an der französischen Grenze gelegenen Momignies. Heute leben in Charleroi noch etwa 3 000 Menschen von der Glasindustrie. |
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Centre Alleine zwischen 1859 und 1914 sind hier fünfzehn Glasmanufakturen belegt, davon befanden sich neun in Manage, der "Cité du Verre" wenige Kilometer östlich von La Louvière, wo noch vor dem 2. Weltkrieg mehrere tausend Glasmacher ihr Auskommen fanden. 1849 hatte hier Apollinaire-Adrien Bougard die erste bedeutendere Glashütte gegründet. Ab den 1880er Jahren folgten weitere Gründungen durch die Glasmacherfamilien Wauty, Michotte, Hirsch und Castelain. Weitere Glashütten existierten u.a. in Bois d'Haine, Bonne-Espérance, Braine-le-Comte, Bruvrinnes, Cronfestu, Ecaussinnes d'Enghien, Familleureux, Fauquez, Haine-Saint-Pierre, Houdeng-Goegnies, La Louvière, Neufvilles, Seneffe und Saint-Vaast. Fensterglasproduktion wie in Mariemont bei La Louvière war im Centre die Ausnahme, hergestellt wurde – und wird z.T. bis heute – Hohlglas in allen Formen und Farben. |
Borinage Heute produziert hier eine moderne Glasindustrie, unterstützt vor allem von dem in Mons angesiedelten Belgian Ceramic Research Centre (BCRC), das einen Teil der Aktivitäten des Institut scientifique du verre (InV) aus Charleroi übernommen hat. Neue Unternehmen haben sich an den altbekannten Glasmacherorten angesiedelt, wie in Ghlin, in Havré-Ville oder etwas weiter entfernt in Soignies. Quellenlage |
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Im Jahr 2010 sind die meisten wichtigen baulichen Relikte der Glasindustrie in Wallonien verschwunden, darunter architektonische Kleinode wie die Anlage der Glashütte von Fauquez, historische Dokumente sind in alle Welt verstreut oder ganz verlorengegangen. Dennoch gibt es in wachsendem Maße vor allem auch private Initiativen, die sich darum bemühen, Erinnerungen der Glasmacher festzuhalten, Fotos und die Geschichte einzelner Glashütten zum Teil auch im Internet zu publizieren. Immerhin erlaubt die Website des Musée du Verre von Charleroi einen Einblick in diese verloren gegangene Welt. Eine wichtige Diskussionsplattform ist die Pressglas-Korrespondenz , regelmäßig aktualisiert von S. Geisselberger, der seit 2000 hier die Quellenforschung von Sammlern, Spezialisten und Wissenschaftlern zum Thema "Pressglas" veröffentlicht, angereichert mit umfassendem Bildmaterial. Hier finden sich auch einige Beiträge zu wallonischen Glashütten, Musterbücher bis hin zur Übersetzung von Spezialliteratur wie "De Glaskunst in Wallonië van 1802 tot heden" ("L’art verrier en Wallonie de 1802 à nos jours") ins Deutsche. |
Viele interessante Informationen, Daten und Fotos zu den Glashütten Walloniens bietet die niederländische Website hogelandshoeve.nl . Der freundlichen Genehmigung ihrer Betreiber verdanken wir auch die Übernahme einiger Fotos (Fauquez, Doyen). | ||
Musée du Verre, |
Crédit Communal (Hrsg.) 1985: L’art verrier en Wallonie de 1802 à nos jours, Ausstellungskatalog Brüssel 1985 (niederländische Ausgabe : « De Glaskunst in Wallonië van 1802 tot heden“
Ernoux, S. 2003: "Dialogue Wallonie" n°19 septembre 2003, S. 27
Laurent, I., J.-P. Delande, J. Toussaint und A. Chevalier 1999: L'aventure du cristal et du verre en Wallonie. Brüssel
Laurent, I., J.-P. Delande, J. Toussaint und A. Chevalier 1999: Glass and Crystal in Wallonia, Tournai
Massart, D. 2009: Histoire des verreries et des décorateurs sur verre de la région du Centre
Belgian Ceramic Research Centre
Charleroi Museum - Le centre de documentation du Musée du Verre
Corning Glass Museum, New York State
Musée du Verre, Bois du Cazier, Marcinelle