Lothringen

Der Steinkohlenbergbau in Lothringen

Malte Helfer

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Die Lagerstätte
Das Lothringer Kohlenrevier, das bedeutendste Frankreichs, umfasst den südwestlichen Teil der von NO nach SW verlaufenden saarländisch-lothringischen Lagerstätte mit einer Fläche von etwa 30 mal 25 km. Die im Saarland an der Oberfläche ausstreichenden Flöze fallen nach Lothringen hin immer tiefer unter starke Sandstein- und Permschichten, wodurch sich starke Wasserzuflüsse ergeben.

Der unmittelbar an das Saarland angrenzende reichere Teil der Lagerstätte wird von Merlebach- und Simon-Sattel gebildet. Die Flöze fallen an der Nordwestflanke dieser Sättel zwischen 25° und 45° ein, an der Südostflanke jedoch steil zwischen 60° und 90°. Der Westteil der Lothringer Lagerstätte ist nur schwach geneigt, aber von großen Störungen durchzogen, die einen kontinuierlichen Abbau verhinderten.

Die umfassendsten Darstellungen der Geschichte des Lothringer Kohlebeckens finden sich bei Charbonnages de France und P. Jegentowicz/J. Urek.


Karte: Steinkohlenbergbau

Steinkohlenbergbau

Malte Helfer, Université du Luxembourg

Anfänge des französischen Kohlenbergbaus an der Saar
Der Beginn der französischen Kohlenförderung im saarländisch-lothringischen Revier fand in 22 Gruben der Saarregion statt, die 1793 von den Revolutionstruppen besetzt worden war. Anfang des 19. Jh. untersuchte der Bergingenieur Duhamel im Auftrag von Napoleon I, der die strategische Bedeutung der Kohle erkannt hatte, die Lagerstätte. Nach drei Jahren legte er den von Beaunier und Calmelet verfassten "Atlas des Concessions du Terrain Houiller de la Sarre" mit 66 Karten und Schnitten vor, auf dessen Grundlage die Erschließung fortgesetzt wurde. Die Bergschule im heute saarländischen Geislautern wurde gegründet.

Ste-Marthe / Lorraine
Quelle: P. Jegentowicz / J. Urek


Suche nach der Fortsetzung der Lagerstätte – Kampf mit dem Wasser

Mit dem 2. Pariser Frieden verlor Frankreich 1815 das Land an der Saar an Preußen. Bei der Prospektion nach der südwestlichen Fortsetzung der Lagerstätte auf französischer Seite unter Baron Gargan wurde 1817 bei Sondierungen am Weg von Schoeneck nach Gersweiler in 65 m Tiefe ein 2,40 m starkes Flöz gefunden und 1818 mit dem Bau des ersten Schachtes begonnen.

Nach der Sicherung der Konzession 1820 wurde 1822 die "Compagnie des Mines de Houille de Schoenecken" als erste Bergwerksgesellschaft des Lothringer Beckens gegründet. Von 1830 bis zur Überflutung des Schachts 1836 konnte sie einige kleinere Flöze ausbeuten.

Der Lothringer Bergbau wurde durch die starken Wasserzuflüsse aus der durchlässigen Sandsteindeckschicht immer wieder zurückgeworfen.

Ab 1847 wurden auf Empfehlung des Bergingenieurs M. Jacquot mehrere Sondierungen weiter westlich im Raum zwischen Forbach und Creutzwald unternommen. 1853 stieß eine Bohrung in der Nähe des Weges von Creutzwald nach Lauterbach nach der Durchteufung einer mehr als hundert Meter starken Buntsandsteinschicht auf das Karbon, um schließlich 1854 in einer Tiefe von 213,6 Metern ein erstes abbauwürdiges Flöz von 95 cm Stärke zu erreichen.

Nachdem nun bewiesen war, dass es unter Creutzwald Kohle gab, wurden zahlreiche weitere Bohrungen unternommen. Ingenieur Jacquot empfahl nun das Merlebachtal als Untersuchungsgebiet. Zahlreiche neu entstehende Gesellschaften unternahmen Bohrungen in L'Hôpital, Hochwald und Freyming.

Bei Hochwald wurden 12 m Kohle erbohrt
Die Bohrung bei Hochwald ergab 1855 in einer Tiefe von 230 bis 242 m ausschließlich Kohle. Diese ungewöhnliche Mächtigkeit wurde rasch auf die steile Lagerung der Schichten zurückgeführt – die Bohrung war auf die steil anstehenden Flöze (dressants) von Merlebach gestoßen.

1855 begann die "Compagnie des Mines du Hochwald" mit dem Abteufen des Hochwaldschachtes. Die starken Wasserzuflüsse aus der Buntsandsteindecke zwangen die junge Gesellschaft, die Arbeiten von 1858-59 zu unterbrechen.

Anschließend kam es in einer Tiefe von 175 m zu einem starken Wassereinbruch, in dessen Folge die Arbeiten mangels geeigneter Pumpen aufgegeben werden mussten; die Gesellschaft löste sich 1862 auf.

St-Max / Lorraine
Quelle: P. Jegentowicz / J. Urek

Die "Compagnie des Houillères de Stiring" hatte günstigere Voraussetzungen: Zwischen Forbach und Metz war 1852 eine Bahnlinie eröffnet worden, die das Transportproblem löste. Der Aufschwung der Eisenverhüttung mit Koks motivierte die weitere Suche nach der Kohle. Die neuen Konzessionäre vertrauten auf den Ingenieur Kind, der eine neue Technik zur Durchteufung Wasser führender Schichten entwickelt hatte. Sondierungsbohrungen bei Stiring und bei der alten Glashütte (Petite-Rosselle) brachten viel versprechende Ergebnisse.

Aber die Wasserzuflüsse blieben weiterhin ein Problem; auch die 1849 bzw. 1851 angehauenen beiden Schächte von Sainte-Marthe und der Schacht Sainte-Stéphanie in Stiring mussten wieder aufgegeben werden, da man das Wasser nicht rasch genug abpumpen konnte.

Creutzwald N°3 / Lorraine
Quelle: P. Jegentowicz / J. Urek

Durchbruch bei Petite-Rosselle 1856
Der eigentliche Durchbruch gelang mit dem 1854 nach den Empfehlungen von Vuillemin bei Petite-Rosselle angehauenen Schacht Saint-Charles, der 1856 in 120 m Tiefe auf ein Flöz von 2 m Mächtigkeit stieß. Davon ermutigt, wurden mehrere Sondierungsbohrungen weiter westlich zwischen Forbach und Creutzwald unternommen, die immer wieder auf Kohle stießen.

1858 verkündete Napoleon III offiziell die Entdeckung des Kohlebeckens. Innerhalb eines Jahrzehnts entstanden die Schächte Saint-Joseph (1857), l’Hôpital 1 und 2 (1862) sowie Urselsbrunn (1862, später Wendel 2), Sainte-Stéphanie 2 (1863), Wendel 1 (1866), Vuillemin 1 und Saint-Joseph 2 (1867). Wegen des hohen Erschließungsaufwandes fusionierten die kleinen Gesellschaften zu den drei großen Unternehmen Compagnie des Houillères de Petite-Rosselle, de Sarre et Moselle et de la Houve.

Unter preußischer Verwaltung ab 1871, zurück an Frankreich 1919
1871 verlor Frankreich mit dem Frieden von Frankfurt das Département Moselle mit den Gruben ans Deutsche Reich. Das konzessionierte Kohlenrevier wird in drei Bezirke aufgeteilt: Petite-Rosselle sowie die noch in Entwicklung begriffenen Bezirke Carling und l’Hôpital.

1873 wird mit belgischem Kapital die Bergwerksgesellschaft Saar-Mosel gegründet, die mehr al 15 000 ha an Konzessionen repräsentiert, darunter die von Carling und l’Hôpital. Die Familie de Wendel, die schon seit 1780 im Revier tätig ist, wird Eigentümerin der Gruben von Petite-Rosselle, zu denen auch die Konzessionen von Forbach und Stiring gehören.

In den nächsten Jahren wurden jährlich etwa 230 000 t Kohlen gefördert, davon 83% in den von de Wendel betriebenen Gruben, während die acht Gruben der von belgischen Investoren bestimmten Gesellschaft Sarre et Moselle kaum produktiv arbeiteten. Unter preußischer Verwaltung nahm die Förderung mit dem technischen Fortschritt weiterhin nur langsam zu; gegen Ende des Jahrhunderts wurde 1 Mio. t überschritten.

Um die Jahrhundertwende wurden in Lothringen 8 Gruben betrieben, 4 davon mit 68% der Förderung von de Wendel, die anderen 4 von deutschen Investoren wie Thyssen und Stinnes. 1910 bzw. 1911 wurden in Carling und Rosselange Kokereien erbaut, aber 83% des im Département Moselle verbrauchten Kokses mussten aus dem Ruhrgebiet bezogen werden.

Ferner kaufte Frankreich fünfmal mehr Kohlen im Saarrevier als im lothringischen. 1913 hatte die Lothringer Kohlenförderung 3,8 Mio. t erreicht.

Nach der Rückgabe des Kohlebeckens an Frankreich mit dem Versailler Vertrag nach dem Ende des 1. Weltkriegs sorgten die beiden ab 1930 neu angelegten Bergwerke  Faulquemont und Folschviller, aber auch die Mechanisierung der anderen Anlagen für eine Steigerung der Förderung auf ein vorläufiges Maximum von 6,7 Mio. t im Jahr 1938. Die Zahl der Beschäftigten stieg zwischen 1913 und 1938 von 13.500 auf fast 25 000.

Die Entwicklung der Steinkohlenförderung in Lothringen 1856-2004
Quelle: HBL

Die im Rahmen der Reparationsvereinbarungen 1924 bzw. 1927 abgeschlossenen ersten Warndtpachtver­träge erlaubten der "Société Houillère de Sarre et Moselle" und der "Société des Pe­tits-Fils de François de Wen­del et Cie.", die deutsche Lagerstätte im Warndt auf einer Fläche von knapp 10 km² auszubeuten, was zur Schonung der eigenen Vorräte zügig vorangetrie­ben wurde. Das Niederbringen von Schächten auf deutschem Gebiet war allerdings nicht zulässig. 1935 verlängerte die deutsche Reichsregierung im Rahmen der Rück­gliederungsverträge die beiden Pachtverträge bis 1940, bei einer Förderbegrenzung auf jährlich 2,2 Mio. t sowie einer Teufenbe­grenzung, um die Ausnutzung der wertvollen Lagerstätte im Rahmen zu halten.

Wendel N°3 / Lorraine
Quelle: M. Helfer

2. Weltkrieg, Verstaatlichung und Kohlenschlacht
Im 2. Weltkrieg wurden die Tagesanlagen demontiert bzw. zerstört, die Schächte liefen vorübergehend voll Wasser. Um der Herausforderung des notwendigen Wiederaufbaus zu begegnen, wurden die französischen Kohlenbergwerke nach dem Krieg verstaatlicht, die Lothringer Unternehmen wurden 1946 zur staatlichen Gesellschaft "Houillères du Bassin de Lorraine" (H.B.L.) vereinigt, auf nationaler Ebene wurde die "Charbonnages de France" (CdF) gegründet. Der Marshall-Plan erleichterte die Erneuerung. Umfangreiche Modernisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen - die Einrichtung sog. "Grands Ensembles miniers" - hatten eine Steigerung der Förderung auf 17 Mio. t zum Ziel. Nach dem Monnet-Plan stieg die Förderung im Zuge der "Bataille du Charbon" von 1945 bis 1958 von 2,2 auf immerhin 15 Mio. t, die Zahl der Beschäftigten erreichte 46 000.

Als Entschädigung für die Zerstörungen französischer Bergwerke im Revier Nord external link, wurden 1949 neue Pachtverträge über 50 Jahre abgeschlossen, die es der H.B.L. erstmals erlaub­ten, auch auf saarländischem Boden Schächte abzuteufen und die Warndtkohlen­felder unter Zahlung eines Pacht­zinses von 1,5-2,5% des Netto­gewinns kostengünstig abzu­bauen. Die Größe der Pachtfelder war sie­benmal so groß wie die der 20er Jahre und beinhaltete den gesamten Warndt außer einem nordöstlichen Feldteil, der der saarländischen Grube Velsen blieb.

Nach der erfolglosen Arbeit einer Schiedskommission von 1953-55 regelte der Saarvertrag 1956 auch die sog. Warndtfrage abschließend: In drei räumlich und zeitlich festgelegten Pacht­abschnitten bis 1961, 1971 und 1981 sollten 66 Mio. t Kohlen von der H.B.L. geför­dert werden; im Feld Vuillemin-St. Charles nördlich des Warndtsprungs und östlich des Merle­bacher Sat­tels bis Ende 1961, im Feld Ste. Fontaine süd­lich des Warndtsprungs und westlich des Merlebacher Sattels bis Ende 1971 und die letzten zehn Jahre bis Ende 1981 im äußersten SO-Zipfel des Warndt südlich des Warndtsprungs und östlich des Merlebacher Sattels im Feld Merle­bach-Cuvelette.

Der schrittweise Rückzug der H.B.L. aus dem Warndt zwang sie zum Aufschließen neuer Felder in Lothringen, die mit stark wechseln­den Einfallensbereichen tektonisch ungünstigere Voraus­setzungen als die Warndtpacht­felder haben.

 

Die Kohlenkrise und der Niedergang
Die Kohlenkrise stoppte ab 1959 die Expansion des Bergbaus. Auch wenn erst 1964 das Fördermaximum mit 15,6 Mio. t erreicht wurde, führten der Jeanneney-Plan (1960) und der Bettencourt-Plan (1968) zu einer Rückführung der Förderung auf 10 Mio. t Anfang der 70er Jahre. 1966 wurde mit St. Charles das erste Bergwerk stillgelegt. Die intensive Mechanisierung brachte die H.B.L. hinsichtlich der Förderleistung an den ersten Rang der europäischen Steinkohlenbergbaugesellschaften.

1972 und 1974 wurden Sainte-Fontaine und Faulquemont stillgelegt. Die Ölkrisen 1973 und 1978 brachten noch einmal eine vorübergehende Renaissance der Kohle – La Houve schloss nicht, Schacht De Vernejoul wurde wieder in Betrieb genommen, auch Sainte-Fontaine wurde wieder geöffnet und die anderen Bergwerke erfuhren erhebliche Investitionen. Ab Ende 1974 wurde sogar wieder zusätzliches Personal eingestellt, z.T. auch in Marokko angeworben.

Aber nach diesem nur temporären Wiederaufschwung wurde 1984, als die Ölpreise wieder sanken, ein Programm zur Reduzierung der Förderung aufgestellt, 1994 wurde der "Pacte Charbonnier National" geschlossen, der das Ende besiegelte. Grube Wendel stellte den Abbau 1989 ein, Simon im Osten des Beckens 1997, es blieben noch 10 000 Beschäftigte.

Bergwerk Vouters und Schacht Reumaux wurden 2000 zusammengelegt zu Merlebach. 2003 wurde Merlebach geschlossen, und mit der Stilllegung von La Houve im Jahr 2004 endete der französische Bergbau endgültig. Die H.B.L. wurde aufgelöst, und die CdF übernahm die Abwicklung der stillgelegten Anlagen.

La Houve 3 / Lorraine
Quelle: P. Jegentowicz / J. Urek

 

Quellen


Charbonnages de France (Hg.) 2004: Dossier de presse "Dernière tonne"- La Houve - 23 avril 2004.

Cook, A. und A.-C. Hourte 1996 : Patrimoine et Culture industrielle en Lorraine. Metz

Daviet, S. (unveröff. 1990) : Le bassin houllier Lorrain et son espace frontalier. L'évolution d'une région en voie de reconversion, unveröff. Diss., institut de géographie, université d'Aix en Provence-Marseille.

Guiollard, P., T. Janssen, T. Klassen, J.-C. Rohr u. J. Urek 2001: Les Chevalements Lorrains. Fichous.

Houillères du Bassin de Lorraine (HBL)(Ed.)(1993): Du charbon et des hommes, Sarreguemines.

Moll, P. (1970): Das lothringische Kohlenrevier (= Veröffentlichungen des Instituts für Landeskunde des Saarlandes, Bd. 18), Saarbrücken.

Morette, J. (1989) : La Lorraine du charbon, Metz.

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Externe Links


Jegentowicz, P. und Urek, J.: Les puits miniers du bassin houiller lorrain external link

Musée de la mine Carreau Wendel external link